Als Anita Lasker-Wallfisch die Bühne betritt, wird schnell klar, dass diese Frau ihren Weg mutig beschritten hat. Mit klarer, fester Stimme berichtet sie intensiv, erschreckend detailliert und dennoch distanziert von den Schrecken, die sie während des braunen Terrors erleben musste. Es gelingt ihr mit wenigen Worten, die Aufmerksamkeit des gesamten Publikums zu gewinnen. Jüngere und Ältere, Eltern und Lehrer, aber auch zahlreiche Schüler ließen sich die Chance nicht entgehen, eine der letzten Holocaust-Zeitzeugen persönlich sprechen zu hören. Schuldgefühle sind für Anita Lasker-Wallfisch fehl am Platz, schließlich sind die Anwesenden zu jung, um am Holocaust beteiligt gewesen zu sein. Vielmehr geht es ihr darum, dass wir alle gemeinsam Verantwortung übernehmen, uns in Toleranz üben und den Anfängen jeglicher Diskriminierung entgegentreten, um die Welt friedlicher werden zu lassen und einen solchen Horror zu vermeiden, wie sie ihn erlebt hat.
Nur kurz konnte sie eine heitere Kindheit in ihrer Familie mit ihren beiden Schwestern genießen, zu schnell holte sie Judenhass und Diskriminierung ein. „Ich verstand überhaupt nicht, was passierte“, erklärt sie noch heute. Plötzlich durfte das kleine Mädchen die Tafel nicht mehr wischen und wurde von Menschen auf der Straße angepöbelt. Dabei war ihr Vater doch ein angesehener Anwalt in Breslau, die Mutter eine Geigerin – die Synagoge besuchten sie nur an hohen Feiertagen. Zunächst glaubte ihr Vater daran, dass sich das Volk wehren würde, dass der Schrecken bald ein Ende haben müsste. Doch seine Hoffnung erfüllte sich nicht: Immer mehr Menschen verschwanden spurlos, immer heftiger wurden die Repressalien auch für seine Familie. „Doch wer wegwollte, musste zahlen“ gleichzeitig stellte sich das Problem wohin weg? „Welches Land will schon von Flüchtlingen überrannt werden“, erklärt Anita Lasker-Wallfisch nüchtern, aber mit einer Spur Bitterkeit. Den Eltern gelang es noch, die älteste Schwester nach England in Sicherheit zu bringen, doch die Unbedenklichkeitserklärungen für die beiden jüngeren Schwestern kamen zu spät. Die Eltern wurden deportiert und mussten ihre Mädchen im Ungewissen zurücklassen. In der Nacht noch erklärte der Vater der damals 16-jährigen Anita, wie sie den Haushalt zu führen hatte und diktierte ihr in ein leeres Notizbuch, auf was sie zu achten hatte. Dann wurden die geliebten Eltern abgeholt und sahen ihre Familie nie wieder.
Trotz der Dramatik der Ereignisse, über die sie berichtet, schafft es Frau Lasker-Wallfisch dennoch, das Publikum mit teilweisen skurrilen Geschichten ab und an zum Schmunzeln zu bringen. Sie erzählt, wie sie es schaffte Urkunden für französische Flüchtlinge zu fälschen und warum es besser war, als verurteilte Verbrecherin in Auschwitz anzukommen. Doch der erste Eindruck des Konzentrationslagers Auschwitz brennt sich in ihr Gedächtnis, sie erinnert sich an viele schwarze Gestalten in der Nacht, bellende Hunde und einen beißenden Gestank. „Der einzige Weg aus dieser Hölle schien der Weg durch den Schornstein.“
Die anschließende „Aufnahmeprozedur“ raubte den Menschen jede Würde, sie mussten ihren Besitz, ihre Kleider und ihre Haare zurücklassen. Jede Persönlichkeit sollte ihnen genommen werden und sie zur Nummer degradieren. Doch es gab einen kleinen Lichtblick, Anita erzählte bei der Aufnahme davon, dass sie Cello spielen würde. Wie das Lernen verschiedener Sprachen zählte auch die Musik zum Alltag ihre Familie, bevor der Terror begann. Dieses Können ließ sie Auschwitz überleben. Sie kam in das Mädchenorchester und musste fortan die gequälten Menschen mit Märschen in den richtigen Takt bringen und mit klassischer Musik zur Ruhe bringen. Und doch gab ihr die Musik auch Kraft und stärkte ihren Überlebenswillen. Im letzten Kriegsjahr wurde sie nach Bergen-Belsen gebracht und erlebte auch dort die Befreiung durch alliierte Truppen. Ihre Erlebnisse auf dem Weg zur Befreiung erschüttern zutiefst, in ihrem Buch „Ihr sollt die Wahrheit erben. Die Cellistin von Auschwitz.“ hat sie alle Erinnerungen für die Nachwelt erhalten. Lange fiel es ihr schwer, über ihre Erlebnisse zu berichten. Ein Besuch in Deutschland kam für sie in den Nachkriegsjahren nie in Frage. Erst als sie wusste, dass die Gefahr gering sein würde, auf Menschen der Generation zu treffen, die an dem Grauen beteiligt waren, begleitete sie ihr Orchester auf einer Konzertreise, die sie nach Bergen-Belsen führte. Die Menschen, die sie hier traf, bewogen sie schließlich dazu, in die Öffentlichkeit zu treten und zu berichten: „Ich hatte mir geschworen, nie mehr deutschen Boden zu betreten, doch Zeitzeugen können mehr bewegen als Geschichtsbücher.“
Nach dem Vortrag konnte die Zuhörer noch Fragen an Anita Lasker-Wallfisch stellen und auch ihre Bücher signierte sie trotz später Stunde. Sie hatte es geschafft, die Zeit lebendig werden zu lassen, ohne dass die Emotionalität die Oberhand gewann. Mitgenommen haben aber sicher alle Anwesenden ihre Botschaften wie „Niemand ist mit dem Etikett Über- oder Untermensch auf die Welt gekommen. Die Etiketten haben wir erfunden.“ und ihre Botschaft, wie wichtig die Vergangenheit ist „Lernen und Lehren auf den Trümmern der Vergangenheit hilft uns, ein humanes Leben verantwortlich aufzubauen.“